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Als Gegendenkmal. Aus der Sicht der Opfer des NS-Regimes: Das Deserteurs-Denkmal im Lehrer Tal in Ulm. 

 

Zitate aus der SÜDWESTPRESSE (die Tageszeitung für Ulm)

https://dzok-ulm.de/Presse/Presse2011/presse11_012_swp.html

Ausgabe Ulm/Neu-Ulm vom 3. Juni 2011
Annäherung an die Namenlosen
Ulm.  20 000 Männer wurden zwischen 1939 und 1945 zum Tode verurteilt - wegen Desertion. Oliver Thron hat sich den Biografien von Deserteuren angenähert, die in Ulm hingerichtet wurden.

 

Autorin: RUDI KÜBLER
Was wurden sie nicht alles genannt: Feiglinge, Vaterlandsverräter, Fahnenflüchtige, Deserteure, Kameradenschweine, Wehrkraftzersetzer. Noch Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges blieb den Männern, die sich der Wehrmacht entzogen hatten, jegliche Anerkennung, jeglicher Respekt und jegliches ehrendes Gedenken verwehrt. Sie galten als Aussätzige, und ihre Familien wurden häufig in Sippenhaft genommen. Ja, Mütter und Väter durften nicht öffentlich um ihre Söhne, Ehefrauen nicht um ihre Männer trauern, das NS-Regime verbot dies. Dazu die Scham über die Verurteilung, nach der Devise: Ein deutscher Mann tut so etwas nicht.
Und dennoch: Deutsche Männer desertierten zu Hauf. "Desertion war ein Massenphänomen", sagt Oliver Thron, Autor des Buches "Deserteure und Wehrkraftzersetzer. Ein Gedenkbuch für die Opfer der NS-Militärjustiz in Ulm". 30 000 Todesurteile sprachen die Kriegsrichter, 20 000 vollstreckten sie - davon mindesten 15, eher mehr, in Ulm. Die Aktenlage? Spärlich. Einerseits sind Dokumente verschwunden oder verbrannt, andererseits sind die Hinrichtungen oft nicht in den Kirchenbüchern vermerkt oder wurden als Selbstmorde kaschiert. Wie mit den Hingerichteten noch im Tode umgegangen wurde, zeigt das Beispiel Jakob Ecksteins, der am 17. März 1945 im Lehrer Tal erschossen worden war: Die amtliche Sterbeurkunde 241/1946 erhielt die Familie laut Auskunft des Bruders Anfang März 1948 vom Standesamt Ulm.
        
Karl Westerich und Jakob Eckstein: Um sie und andere Deserteure zu ehren, wurde das lange Jahre umstrittene Denkmal geschaffen. 2005 wurde es am historischen Ort, bei der ehemaligen Hinrichtungsstätte aufgestellt. (Privatfotos)
In akribischer Kleinarbeit gelang es dem Ulmer Lehrer und Historiker, sich sieben der in Ulm Hingerichteten anzunähern - und den Menschen eine Biografie, ein Gesicht, zu geben. Im Fall des Neresheimers Jakob Eckstein spielte das Glück mit: Dessen Bruder konnte Auskunft geben über den "Deserteur", der das "Beispiel des feigen Soldaten konterkarierte" (Thron). Kurz vor Weihnachten 1941 zur Wehrmacht einberufen, kämpfte Eckstein an der Ostfront; er erhielt die Wintermedaille, von den Soldaten auch als "Gefrierfleischmedaille" oder "Eisbeinorden" bezeichnet. Im Juli 1943 wurde er durch einen Kopfschuss verwundet und blieb 48 Stunden verschüttet. Er erholte sich langsam, epileptische Anfälle setzten ihm aber als Folge der Verwundung schwer zu. Er kehrte nicht mehr zu seiner Einheit zurück, sondern versteckte sich bei seiner Verlobten in Altenburg, die ein Kind von ihm erwartete. Eckstein wurde dort verhaftet, nach Ulm überführt und vom Kriegsgericht wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt. Man möge ihm die Augen nicht verbinden, habe er den Militärpfarrer vor der Hinrichtung gebeten, "er wolle seinen Mördern ins Gesicht sehen".
Der Obergefreite Karl Westerich starb am 14. Dezember 1944 - er wurde ebenfalls im Lehrer Tal, dort waren die Schießstände, von einem Hinrichtungskommando erschossen. Wegen "Zersetzung der Wehrkraft" war er Ende Oktober 1944 zum Tode verurteilt worden: vom Feldkriegsgericht, dem der spätere Landgerichtsdirektor Hermann Bames (siehe Extra-Artikel rechts) vorsaß. Westerich war zunächst in Frankreich stationiert, nach einer Verwundung dann an der Ostfront. Er wurde ein zweites Mal verwundet; als er wieder "kriegsverwendungsfähig" war und erneut an die Ostfront abkommandiert werden sollte, erhielt er die Nachricht, dass seine Mutter ausgebombt worden war und seine Frau mit einem Nervenzusammenbruch im Krankenhaus lag. Westerich bekam Sonderurlaub; um nicht zur Truppe zurückkehren zu müssen, spritzte er sich Petroleum in den Schenkel - worauf sich ein Geschwür bildete und der Truppenarzt ihn zurückstellte.
Laut Anklage des Kriegsgerichts soll Westerich drei anderen Soldaten angeboten haben, ihnen ebenfalls Petroleum zu injizieren. Einer der Soldaten verpfiff den jungen Mann aus Düsseldorf, der verhaftet wurde und im Militärarresthaus in Ulm landete. Ein Friedhofsbeamter notierte: "Standrechtlich erschossen. Selbstverstümmelung."

Info Oliver Throns Buch wird am Sonntag, 5. Juni 2011, um 15 Uhr in der KZ-Gedenkstätte präsentiert. Als Zeitzeugen sprechen der ehemalige Klinikseelsorger Christoph Scheytt und Dr. Hans-Paul Eckert.
http://www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_ulm/Annaeherung-an-die-Namenlosen;art4329,988098,A
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Die Geschichte des Deserteur-Denkmals

Das von Hannah Stütz-Menzel geschaffene Kunstwerk wurde 1989 vor dem Roxy aufgestellt. Den Anstoß für das Denkmal gab 1985 die Gruppe "Reservisten verweigern". Mit der Inschrift "Hier lebte ein Mann, der sich geweigert hat, auf seine Mitmenschen zu schießen" (Tucholsky) soll zum Nachdenken angeregt werden: über den kleinen Mann, der Großes erreichen kann.
Teile der Ulmer Öffentlichkeit reagierten mit Empörung auf das Kunstwerk und forderten dessen Beseitigung. Der Kunst- und Kulturausschuss des Ulmer Gemeinderats wollte das Kunstwerk entfernen lassen, da es ohne Genehmigung aufgestellt worden war. Die Initiative baute das Denkmal ab und in einem privaten Garten in Ludwigsfeld auf. Die Stadt lehnte Anträge zur öffentlichen Aufstellung konstant ab, mit dem Hinweis auf den zentralen Gedenkort auf dem Friedhof.
Nach großem Medienecho - Beiträge über die Auseinandersetzung erschienen in der "New York Times" und im Magazin "Monitor" - durfte die Initiative das Denkmal Ende 2005 im Lehrer Tal aufstellen, unweit der ehemaligen Hinrichtungsstätte.
http://www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_ulm/Die-Geschichte-des-Deserteur-Denkmals;art4329,987662
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Hermann Bames: Unvergessen, weil furchtbar

"Direktor Bames wird denen, die ihn als Richter und Mensch kannten, unvergessen bleiben." Im Nachruf für Landgerichtsdirektor Hermann Bames (1883 bis 1962) bekleckerte sich die Schwäbische Donauzeitung, die Vorgängerin der SÜDWEST PRESSE, nicht gerade mit Ruhm. "Wegen seiner umfassenden juristischen Kenntnisse, seines ausgesprochenen Gerechtigkeitssinns, seiner persönlichen Bescheidenheit, Güte und vornehmen Gesinnung wurde er weit und breit geschätzt und geehrt", heißt es im Mai 1962 anlässlich seines Todes.
Kein Wort über die vier Todesurteile, an denen Bames, der von Oktober 1940 bis April 1945 beim Kriegsgericht in Ulm tätig war, mitgewirkt hatte: zwei Mal als Anklagevertreter, zwei Mal als Vorsitzender Richter, wie Bames 1946 einräumt. Es seien deutsche Soldaten betroffen gewesen, "die wegen einwandfrei erwiesener Fahnenflucht verurteilt werden mussten. Die Verurteilten waren nach meiner sicheren Erinnerung in allen 4 Fällen Criminelle, die zu gleich gemeiner Verbrechen überführt waren." So seine Rechtfertigung.
Für Bames hatten die Urteile keinerlei Folgen, im Spruchkammerverfahren am 11. Juni 1946 hieß es, dass er "seine Gerichtsurteile als Richter absolut unparteiisch und gerecht" gefällt habe. "Belastendes ist nicht bekannt." Das Verfahren wurde zwei Monate später eingestellt - und Bames setzte seine Karriere fort: als Landgerichtspräsident bis zu seiner Pensionierung 1951.
Wie ein Treppenwitz der Geschichte mutet freilich an, dass Bames sogar Vorsitzender der Ulmer Spruchkammer wurde, die über ehemalige NS-Täter entschied. Im Fall eines ehemaligen Direktors der Ulmer Magiruswerke entschied er auf "entlastet" - was zu Protesten unter den Mitarbeitern führte, wie Oliver Thron in seinem Buch "Deserteure und ,Wehrkraftzersetzer. Ein Gedenkbuch für die Opfer der NS-Militärjustiz in Ulm" recherchiert hat. Bames habe daraufhin das Justizministerium gebeten, ihm Rückendeckung zu geben. Was das Justizministerium denn auch tat.
Fast hätte man den furchtbaren Juristen vergessen. Dank der Arbeit Oliver Throns bleibt Bames all denen, die ihn als Richter und Mensch kannten, jetzt in der Tat unvergessen. ruk

http://www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_ulm/Hermann-Bames-Unvergessen-weil-furchtbar;art4329,987832

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